Sepsis Stiftung fordert dringend Maßnahmen durch den Gesetzgeber

Nach aktuellen Schätzungen gibt es in Deutschland jährlich über eine halbe Million Sepsis-Betroffene mit mehr als 140.000 Todesfällen allein im Krankenhaus. Über 270.000 der Überlebenden leiden an Langzeitfolgen. Die Weltgesundheitsorganisation hält die meisten dieser Todesfälle für vermeidbar, was sich anhand von Überlebendenzahlen in anderen Ländern wie Schweden und Australien gezeigt hat. Das bedeutet, dass etwa 190 Menschen in Deutschland täglich unnötig versterben und 370 Betroffene schwerwiegende Langzeitfolgen erleiden.

Gesetzgebung und Regierung müssen die richtigen Lehren aus der Pandemie, den aktuellen Zahlen zur Sepsis-Häufigkeit sowie der im Vergleich zu anderen Ländern deutlich höheren Sepsis-Sterblichkeit in Deutschland ziehen – dies ist eine Forderung der Sepsis-Stiftung und auch Gegenstand eines aktuellen Editorials. in „Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin“. Eine konsequente Umsetzung von Qualitätssicherungs- und Aufklärungsmaßnahmen, die in anderen Ländern zu einer deutlichen Reduzierung der Sepsis-Sterblichkeit geführt haben, ist bisher trotz entsprechender Forderungen nicht erfolgt. Kollektive, freiwillige Qualitätssicherungsmaßen auf Krankenhausebene haben sich in Deutschland als ineffektiv erwiesen.

Mangelnde Kommunikation über den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Sepsis / Sepsis-Folgen

Bereits in der WHO Sepsis Resolution von 2017 erfolgte der Hinweis, dass nicht nur Bakterien, sondern auch Viren, wie zum Beispiel das SARS-CoV-2 – und das Influenza-/Grippe-Virus sowie weitere Infektionserreger, eine Sepsis auslösen können. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass auch die Langzeitfolgen von viralen Infektionen wie COVID-19 und Influenza sich nur graduell von den Folgen von Sepsis und Infektionen infolge anderer Erreger unterscheiden.Die Gemeinsamkeiten von pandemiebedingter und „alltäglicher“ endemischer Sepsis hinsichtlich Vermeidbarkeit, Warnsymptome, Notfall und Folgen wurden von den Akteuren im Gesundheitswesen und der Politik nicht kommuniziert und die Synergien bleiben ungenutzt. Beispielhaft hierfür ist, dass bei den gesundheits- und forschungspolitischen Entscheidungen zur Erforschung der Ursachen von Long-COVID und der Verbesserung der Versorgung der davon Betroffenen die jährlich mindestens 270.000 Sepsis-Überlebenden nicht berücksichtigt wurden. Auch sie leiden unter schweren medizinischen, kognitiven und psychischen Folgen, sind zu einem Drittel neu pflegebedürftig und stoßen auf mangelndes Verständnis.

Bisherige Maßnahmen sind unzureichend

Dass mit dem Abschluss des seit fünf Jahren unter der Führung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) laufenden Qualitätssicherungsverfahrens zur Sepsis frühestens in weiteren drei Jahren zu rechnen ist, wirft angesichts der enormen medizinischen und materiellen Folgen für die Betroffenen, Angehörigen, und die gesamte Gesellschaft, erneut erhebliche Fragen zur Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens auf. Im Rahmen dieses Paradigmas hat der Gesetzgeber, auch die Qualitätssicherung für die stationäre Krankenversorgung in die Hände des G-BA gelegt. Forderungen für einen nationalen Sepsisplan gibt es in Deutschland seit 2013 und wurde 2017 erneuert. Die fehlende Umsetzung kontrastiert zu Ländern mit einer deutlich niedrigeren Sepsis-Sterblichkeit, wie Australien, England, Irland, Schweden und den USA, die nach der Verabschiedung der WHO Sepsis Resolution das Thema Sepsis zu einer Priorität gemacht haben. Ganz aktuell setzt sich auch der belgische Gesundheitsminister für einen solchen Schritt ein.  Die Annahme, dass das vom BMG seit 2021 geförderte Aktionsbündnis „Deutschland Erkennt Sepsis“, wesentlich zur Lösung dieser immensen gesamtgesellschaftlichen Herausforderung beitragen kann, ist, trotz des erheblichen Engagements der Bündnispartner, zu denen auch die Sepsis Stiftung gehört, unrealistisch.

Notwendige Maßnahmen

Um weiteren Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden, muss der Gesetzgeber auf der Bundes- und Landesebene endlich handeln. Erforderlich sind gesetzgeberische Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung internationaler Mindeststandards bei der Qualitätssicherung und Strukturmaßnahmen wie:      

  • Verpflichtende Schulungen für medizinisches Personal in der Früherkennung von lebensbedrohlichen Erkrankungen und Vorhaltung von innerklinischen Notfallteams in den Akutkrankenhäusern
  • Verbindliche Schulungen des medizinischen Personals in Notaufnahmen, im prästationären Rettungsdienst, für das ärztliche Personal des kassenärztlichen Bereitschaftsdiensts und die Einsatzkräfte in den Notrufzentralen für die Nummern 112 und 116117.
  • Die Förderung der Gesundheitskompetenz der breiten Öffentlichkeit zur Infektionsprävention, zur Notwendigkeit der Früherkennung und Notfallbehandlung von Sepsis, der Kenntnis ihrer Langzeitfolgen
  • Eine konsequente Umsetzung der Krankenhausstrukturreform
  • Die Reform des G-BA unter den Aspekten Stärkung der Patientenorientierung und Effizienzsteigerung
  • Die Etablierung einer Nationalen Infektionsmanagementstrategie unter deren Dach bestehende Silos überwunden und Synergien gehoben werden können
  • Eine an den evidenzbasierten Fakten orientierte Forschungsförderung