Zwischen Kampf und Hoffnung: Annelies Weg
Unsere Geschichte soll anderen Eltern Mut machen, ihrem Instinkt zu vertrauen, besonders wenn medizinische Einschätzungen ihre Sorgen nicht ernst nehmen. Eltern kennen ihr Kind am besten, und oft sind es genau diese Warnzeichen, die entscheidend sein können. Annelie war eine Kämpferin – stark, tapfer und voller Lebensfreude. Sie wollte bei uns bleiben, und in unseren Herzen wird sie es immer tun.
Ich bin eine 5fache Mutter (43), verheiratet und heiße Claudia. Mein Mann und ich haben alle Kinder gemeinsam und 4 von ihnen sind kerngesund auf die Welt gekommen.
Im Januar 2018 kam unsere jüngste Tochter Annelie auf die Welt. Die Schwangerschaft war problemlos und komplett sorgenfrei. Doch sie kam mit einer seltenen Krankheit auf die Welt, die sie in ihrer Bewegung stark einschränkte. Trotz etlichen Krankenhausaufenthalten, Untersuchungen usw. konnten die Ärzte ihre Krankheit nicht benennen und ihr nicht helfen. Immer mehr Symptome kamen hinzu. Sie musste rund um die Uhr gepflegt werden, konnte nicht laufen, sitzen, stehen und essen. Oft hatten wir den Rettungsdienst rufen müssen, weil sie einfach aufhörte zu atmen.
Im Februar 2020 mussten wir wieder zur Routine-Untersuchung nach Hamburg ins UKE, wo der Arzt sagte ,,Sie sei eine freundliche Seele gefangen in einem Panzer" Vom Kopf her war sie nicht eingeschränkt, nur ihr Körper...es war kräfteraubend!
Die Coronapandemie begann zu diesem Zeitpunkt und nicht nur wir hatten große Angst um Sie. Der Arzt sprach auch seine Sorgen aus.
Kurz danach wurde sie krank. Zum Anfang war es nur Fieber. 2 Wochen lang versuchten wir alles, um dieses in den Griff zu bekommen. Etwas besser wurde es, doch dann fing sie an komisch zu röcheln und ich begann sie abzusaugen, weil sie nicht abhusten konnte. Schnell kam das Fieber wieder und wurde von Tag zu Tag höher. Immer wieder bin ich mit ihr zu ihrer Kinderärztin, die ihre Probleme eigentlich kannte, aber alles nicht so ernst nahm. Ich hatte immer Angst, dass sie eine Lungenentzündung bekommt. Die Ärztin hörte sie ab und beruhigte mich immer wieder, dass sie keine hat. Nach bestimmt 3 Wochen Fieber am Stück, eilte ich mit ihr wieder zum Arzt. Diesmal beschrieb ich der Ärztin, dass Annelie sich vom Wesen her verändert hat. Sie lachte nicht mehr, behielt die sondierte Nahrung nicht bei sich, jammerte ganz herzzerreißend, war vom Hautton eher gräulich und das Fieber lag bei 40°C. Obwohl ich nicht schon wieder mit ihr ins Krankenhaus wollte, hoffte ich insgeheim, dass wir vorsichtshalber eingewiesen werden. Aber...wie immer hörte sie unser Töchterchen nur ab, nahm eine Blutprobe, um den Entzündungswert festzustellen und wieder diese Worte ,,Sie machen schon alles richtig. Mehr geht z.Z. nicht" Der Entzündungswert, den sie kontrollierte, war leicht erhöht, aber das beunruhigte sie nicht. Mit einem flauen Gefühl im Magen, wurden wir wie immer nach Hause geschickt.
Am nächsten Morgen lag meine Tochter ganz schnell atmend, mit weit aufgerissenen Augen in ihren Bettchen und reagierte kaum noch. Vorsichtig nahm ich sie hoch und bemerkte ihre eiskalten Händchen und Füßchen. Ihr Körper aber war so heiß, dass ich sie kaum anfassen mochte. Ihre Temperatur lag bei 41,1°C und während ich sie vorsichtig wickelte, weinte ich. Dieses hörte ihr Bruder (damals 10) und eilte zu mir. Ich beruhigte ihn und sagte, dass Annelie atmet, aber ich jetzt den Rettungsdienst anrufe, weil ihr Fieber so hoch ist.
Während wir ca. 10 Minuten auf den Krankenwagen warteten, halfen mir meine großen Kinder, die wichtigsten Sachen zusammenzupacken. Der Papa war auf Arbeit und ich wollte ihn erst informieren, wenn ich mehr wusste.
Im Krankenhaus wurden wir wegen der Coronaauflagen erstmal isoliert und sie überwacht. Ihr Puls war extrem hoch, so wie ihr Blutdruck...ihre Sauerstoffsättigung lag nur bei 80!
Sie bekam Sauerstoff, der ihre Werte aber nur gering besserte. Nach einigen Untersuchungen, MRT und Ultraschall stellten sie eine schwere Lungenentzündung fest. Ihr linker Lungenflügel war voller Flüssigkeit, welche die Ärzte aber nicht punktieren konnten, weil es ihr Zustand nicht zuließ. 3 Tage lang bekam sie schon Infusionen, Sauerstoff per Highflowgerät usw. Aber ihr ging es immer schlechter. In der ganzen Zeit durfte ihr Papa nicht zu uns und mir kam es dort schon wie Abschied nehmen vor. Sie fing an Blut zu spucken und behielt nichts mehr bei sich. Ihr Blutdruck war lebensbedrohlich hoch und ihr Sauerstoffsättigung sank zusehends. Die Ärzte entschieden sich, uns ins nächste Krankenhaus mit Kinderintensivstation zu verlegen. Um 23 Uhr sagten sie mir Bescheid. Um 0.30 Uhr kam dann endlich der Notarzt, der uns begleiten sollte, aber, kaum zu glauben, dieser verweigerte den Transport. In meinem Beisein sagte dieser nur, dass die Werte so schlecht sind, dass eine Intubierung im Krankenwagen notwendig werden könnte und das macht er nicht. Ich war am Ende und nicht nur ich. Die Oberärztin versuchte den Notarzt umzustimmen, was nicht klappte und er ging. Verzweifelt suchten sie nach einer Lösung und um 3 Uhr stand plötzlich ein Notarzt vor mir, der es sich zutraute. Es war der Ehemann von der Oberärztin, der eigentlich nicht im Dienst war und der Annelies Lebensretter vom 1.Atemstillstand war, da war sie gerade mal 4 Monate jung. Voller Vertrauen fuhren wir los...Mit Blaulicht durch die Nacht. Ca. 35 Minuten später waren wir auf der Kinderintensivstation angekommen und unsere Annelie fast tot. Ihren Anblick vergesse ich nie...sie wurde sofort sediert und intubiert. Ich rief währenddessen meinen Mann an und erzählte ihm alles. Nach ein paar Stunden kam eine Ärztin zu mir und berichtete, wie ernst es um Annelie steht. Sie hatte eine schwere Lungenentzündung mit Sepsis und ein Organversagen hatte schon angefangen. Ab der Ankunft auf der Kinderintensivstation durfte der Papa trotz aller Einschränkungen immer zu uns, wann immer er wollte.
7 Wochen lang war es dort ein Auf und Ab. Annelie kämpfte so sehr und schaffte es sogar die Lungenentzündung mit Sepsis zu bekämpfen. Leider kam dann ihre Haupterkrankung wieder in den Vordergrund und sie stellten fest, dass ihr Immunsystem gegen alles kämpfte, sogar gegen gute Dinge. Als unsere Hoffnung auf eine vollständige Genesung der Sepsis größer wurde, kam die Hiobsbotschaft. Sie entwickelte wieder eine Sepsis und nichts half mehr. Ich merkte, wie schlimme Schmerzen sie erlitt und bat immer wieder um Schmerzlinderung für sie. Vor meinen Augen fing sie eines Tages plötzlich an heftig zu Zucken. 2-mal ganz kurz hintereinander und das jedes Mal über 20 Minuten. Schnell wurde ein MRT gemacht und dort stellte man fest, dass es Schlaganfälle waren, die ihr Gehirn kaputt gemacht hatten. Wir Eltern hatten an diesen Tag das wohl schlimmste Gespräch mit mehreren Ärzten, wo wir eine lebenswichtige Entscheidung fällen mussten. Wir wollten nur noch, dass unsere Tochter keine Schmerzen und Angst mehr hat. Auf unseren Wunsch hin, taten die Ärzte alles für Annelie um es ihr so schmerzfrei wie möglich zu machen. Sie bekam Fentanylpflaster und andere Schmerzmittel, aber ihr Immunsystem kämpfte immer weiter und die Dosis musste ständig erhöht werden, worüber die Ärzte sich wunderten. 1 Woche lang war Annelie nur noch Palliativ auf Station. Sie bekam ein wunderschönes Zimmer, welches extra hergerichtet wurde, für solche Situationen und wir durften alle einladen, die sich von ihr verabschieden wollten. Ihre Geschwister und der Onkel ihres Papas kamen. In der Zeit wirkte sie ganz friedlich, aber am 06.06.2020 bemerkte ich eine Veränderung, als ich sie wickelte. Sie wirkte verängstigt und schmerzerfüllt. Ich rief die Ärztin, die meine Vermutung bestätigte. Ich bat sie wieder, Annelie ihre Schmerzen zu nehmen. Sie erklärte mir, dass sie ihr intravenös Morphium geben könnte, aber dieses auch dazu führen könnte, dass Annelie einschläft. Ich verstand, aber unser Wunsch war es, dass sie keine Schmerzen hat, also stimmte ich zu. Kurz danach kam mein Mann mit seinem Onkel zu uns. Wir saßen um sie und redeten. Wir tranken noch einen Kaffee und ahnten nicht, was gleich passiert. Während ich ihre Hand hielt und streichelte, kam plötzlich die Schwester rein und fragte, ob sie den Tisch vorbereiten darf. Auf diesen Tisch werden Gedenksachen und eine Kerze gestellt, die entzündet wird, wenn eine Kinderseele ihre Reise angetreten hat. Verdutzt schaute ich sie an und stotterte, warum. Sie ist soweit! Kam nur. Wir nahmen unsere Tochter in den Arm, der Monitor wurde sichtbar gemacht... Puls 50, Sauerstoffsättigung 50...sinkend. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich reagierte...ich hielt einfach ihre Hand, der Papa ihre Füße, wir unsere jüngste Tochter im Arm und hörten ihre immer schwächere Atmung. Ich bemerkte, wie die Schwestern und Ärzte den Raum betraten...sah zum Monitor...0...ein letztes Ausatmen....Annelie wurde nur 2 Jahre 4 Monate 3 Wochen und 6 Tage alt. Um 17.50Uhr starb sie in unseren Arm. Nichts ist seitdem vollkommen. 2 Jahre später bekamen wir unser Regenbogenbaby. Annelies jüngerer Bruder, der zum Glück gesund ist und wir erzählen ihm ganz viel von seiner Schwester im Himmel.
Wir mussten uns nach ihrem Tod Dinge anhören, wie ,,Sie ist jetzt an einem besseren Ort"(war der beste Ort nicht bei ihrer Familie???) Oder ,,Sie wäre wohl ihr Leben lang ein Pflegefall gewesen“(auch das hätten wir von Herzen gerne für sie auf uns genommen) Schlimm solche Worte.
Oft fragen wir uns, wie sie heute aussehen würde. Wie sie sich vielleicht doch entwickelt hätte? Sie war so stark, so tapfer...sie wollte Leben...bei uns!
Wir wünschen uns, dass es Ärzte ernster nehmen, was Eltern ihnen sagen. Oft haben Eltern ein Gespür dafür, dass etwas nicht stimmt!!! Hoffentlich muss ein Papa und eine Mama so etwas nie mehr durchmachen müssen, dass der Kinderarzt ihre Sorgen verharmlost. Einfach lieber auf Nummer sicher gehen...lieber einmal ans Krankenhaus mehr überweisen, als einmal zu spät und bestimmt würden Schulungen auf Sepsis auch helfen!
Vielen Dank fürs Lesen!
Ganz herzliche Grüße,
Claudia mit Familie und Annelie im Herzen