Heike und ihre Geschichte mit der Sepsis

Immer wieder „ertappe“ ich mich, dass ich mir denke: „Wahnsinn, was mein Körper leistet und schaffen kann! Was für ein Glück, dass er nicht aufgibt!“

Ich bin mit 16 Jahren an Morbus Hodgkin Stadium IIIa erkrankt. Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung. Im Zuge der Behandlung musste auch meine Milz entfernt werden. Ich wusste, dass ich generell auf mich aufpassen sollte, zumindest direkt nach der Krebserkrankung und immer die nötigen Impfungen bekommen sollte. Erst viel später habe ich im Fernsehen gesehen, dass man sich bei einer fehlenden Milz einen Asplenie-Notfallpass zulegen sollte. Das habe ich auch gemacht, aber Papier ist geduldig und je länger es mir gut ging, desto weniger glaubte ich daran, dass mir etwas Schlimmes passieren könnte … bin dem Tod ja schon einmal von der Schippe gesprungen.

Lesen Sie hier Heikes ganze Geschichte.

Unverhofft erwischt

Nachdem Corona mich 2020 und 2021 in Kurzarbeit schickte, habe ich mich dazu entschlossen, mein Berufsleben neu zu gestalten. Ich habe meinen Job gekündigt, habe mich informiert, wo ich als Quereinsteigerin in einer kleinen Hofkäserei mitarbeiten kann und habe mir einen Alpjob in der Schweiz gesucht.

Meine Aufregung war groß, endlich Schweiz, richtig Käse machen lernen und mich überwinden Kühe zu melken. Spannend!

Die Hütte liegt auf ca. 1800m mit einem traumhaften Panorama, fließend Wasser und nur Strom zum Melken und Käse machen. Ansonsten heißt es Holz hacken und den Ofen immer anbehalten, damit es in der Hütte warm ist. Leider ist das Wetter eher nass kalt. 14 Kühe müssen täglich zweimal gemolken werden und ca. 150l Milch werden morgens täglich zu Käser verarbeitet. Die vielen Arbeiten, die anfallen, sind zwischen mir und dem Alpbauer aufgeteilt.

Aufgrund meiner Vorgeschichte habe ich immer all meine Krankenunterlagen und wichtigen Medikamente dabei. So auch dieses Mal und ich war froh, dass ich bei den starken Schluckbeschwerden, die ich nach 4 Wochen Alp bekommen habe, gleich in meine „Trickkiste“ greifen konnte.

Am Donnerstagmorgen beim Melken war noch alles gut, aber beim Frühstück konnte ich nichts mehr essen und trinken, da ich extrem starke Schluckbeschwerden aus heiterem Himmel bekommen habe. Tagsüber habe ich noch etwas Alpwiesen-Pflege gemacht und pünktlich zum Abendmelken stand ich wieder im Stall. Dick eingepackt und schon leicht frierend, da das Wetter nass und kalt war. Der Alpbauer hat mich gleich ins Bett geschickt. 2 Wärmflaschen, Zwiebelsäckchen auf dem Hals, Halstabletten, Schal … ich hatte gefühlt alles im Bett an, damit ich nicht friere.

Die Schluckbeschwerden waren am Freitag genauso stark. Ich weiß noch, dass ich mich gewundert habe, dass die Schmerzen immer genauso gleich heftig waren. Dazu kam in der Nacht noch der Schüttelfrost dazu. Den Freitag habe ich nur im Bett verbracht, weder was gegessen noch getrunken. Der Alpbauer hat immer wieder mal nach mir geschaut, aber wir dachten, mit geht es schon wieder besser, wenn ich mich einfach ausruhe.

Als es mir am Samstag dann immer noch nicht besser ging, hatte wir überlegt, vom Berg ins Tal zu fahren. Aber ganz klar, die Kühe und der Käse gingen vor. Einmal wollte ich aufstehen, da merkte ich, dass mir mein linker Oberarm weh tat und ich nicht mehr auf meinem linken Bein stehen konnte. Auf allen Vieren habe ich mich noch in die Nachbarstube geschleppt, um den Holzofen, der auch meine Stube heizte, anzuwerfen. Völlig erschöpft habe ich mich wieder in mein Bett geschleppt.

Ich weiß nicht, wann ich wieder eingeschlafen bin und was dann passierte, weiß ich nur aus Erzählungen.

Der Alpbauer und der Besuch, der am Freitag auf die Alp angereist war, wollten mich am Samstagnachmittag zu Klinik ins Tal fahren. Da ich aber bereits in eine Bewusstlosigkeit mit Wesensveränderung gefallen bin, haben Sie abends die REGA (Schweizer Bergrettung) gerufen, die mich mit dem Hubschrauber nach Luzern ins Kantonsspital geflogen haben. Während dessen wurde mein Mann informiert. Auf der Intensivstation haben die Ärzte sich sofort um mich gekümmert, sich mit meinem Mann in Verbindung gesetzt und ein Ausschlussverfahren nach dem anderen gemacht. Da ich nicht ansprechbar war, wussten sie ja auch nicht, was mir fehlt.

Von den 5 Tagen Intensivstation weiß ich nicht viel, nur Erinnerungsfetzen: Mir tut der linke Oberarm weh … warum sind meine Füße in Gipsschienen und Schläuche hängen aus Füßen und Kniegelenken … warum muss die Lunge beidseitig punktiert werden …warum steht ein Virologe vor mir, der sagt, dass sie jetzt wahrscheinlich wissen, was mit mir los ist?

Am Donnerstag kann ich auf die normale Station der Kardiologie verlegt werden und der Leiter der Intensivstation gibt mir noch mit auf den Weg, dass ich jetzt Geduld haben muss.

Zu der Zeit hatte ich immer noch nicht verstanden, was mit mir los ist. Das lag nicht an den Ärzten, sondern dass mein Kopf es nicht aufnehmen konnte. Kurzum: Ich hatte mich oben auf der Alp mit Streptococcus pyrogenes angesteckt. Die wiederum haben eine Aorten- und Mitral Herzklappenentzündung (Endokarditis) ausgelöst. Durch die nun im Körper schießenden Embolien hatte ich mehrere Schlaganfälle und Nekrosen am linken Oberarm, linke Hüfte, Fingern und beiden Füßen. Die Füße und Knie wurden innerhalb von 1,5 Wochen 3mal operiert und ausgespült. Sämtliche MRTs, CTs, Herz-SchluckEchos und Untersuchungen, an die ich mich nicht erinnern kann, wurden durchgeführt. Ich bekam letztendlich 4 Wochen Antibiotika, starke Schmerzmittel und musste 5 Wochen liegen.

Erst als die Entzündungswerte von über 180 wieder im Normalbereich lagen und die Ärzte es verantworten konnten, wurde ich mit dem Krankenwagen zurück nach München in eine Klinik gefahren. Hier nochmals ca. 2 Wochen zur Beobachtungen und weitere Wundkontrollen, anschließen für 7,5 Wochen auf die Reha, IRENA Programm, Physiotherapien und Aufenthalt in der Schmerzklinik. Im Dezember 2022 nochmals eine OP am linken Fuß und nochmals im Februar 2023 in die Schmerzklinik.

Ich habe lange gebraucht, um überhaupt annähernd zu verstehen, was passiert ist. Ehrlich gesagt, ich kann es immer noch nicht wirklich glauben. Was ich aber weiß ist, dass ich 1000 Schutzengel, super Ärzte, Pfleger, Therapeuten, Wundexperten etc. gehabt haben muss, denn ich konnte all meine Gliedmaßen sowie beiden Herzklappen (bis jetzt) behalten. Es geht mir den Umständen entsprechend gut und ich verarbeite das Geschehene mit einer Psychotherapeutin, denn allein schaffe ich das nicht. Nochmal eine schwere Krankheit bekommen zu haben, hat mein Leben ganz schön aus der Bahn geworfen.

Ich bin auch meinem Mann von Herzen dankbar, der sich immer um mich und all den ganzen Bürokratismus gekümmert hat sowie meine Eltern und Schwester immer auf den aktuellen Stand gehalten hat. Es war für sie alle ebenfalls eine schwere Zeit.

Immer einen Schritt weiter

Durch die vielen Nekrosen-Narben und Operationen sowie durch das lange Liegen in Gipsschienen, muss ich alles wieder neu erlernen. Jede kleinste Bewegung, Gehen, Zehen bewegen, auf Zehenspitzen oder Fersen „stellen“, Treppen steigen, hinknien …an schnelles laufen, springen, hüpfen ist noch gar nicht zu denken. Alles ist Kopfsache, nichts geht automatisiert. Alles geht nur mit Schmerzen, Taubheits- und Engegefühl in den Zehen, Sprunggelenken, den Füßen.

Jeden Tag bin ich nun dankbar, dass ich mich auf meine Füße stellen und auf ihnen gehen kann. Sepsis war nie ein Thema für mich, auch wenn es in meinem Asplenie-Notfallpass steht. Ich hatte das einfach nicht auf dem Schirm. Ich frage mich auch, selbst wenn es mir bewusst gewesen wäre, wie hätte ich mich schützen können? Hätte ich die Schluckbeschwerden dann richtig gedeutet?

Warum ist das Thema Sepsis nicht in unseren Köpfen?

Da ich in der Schweiz erkrankt bin und hier in Deutschland vieles abmelden musste, war es nicht einfach wieder in das deutsche System zu kommen Die größte Herausforderung war für mich die Rechtfertigung, dass ich hauptsächlich orthopädische Unterstützung benötigte, obwohl ich doch als kardiologische Patientin gelistet war.

Ich wünsche mir, dass das Thema Sepsis bekannter wird. Wir, die Betroffenen im akuten Moment, aber auch mit unseren Spätfolgen von den Ärzten und Behörden ernst genommen werden, denn nur weil die akute Situation vorbei ist, haben wir noch einen langen Weg vor uns.