Die Sepsis hat Kerstin geprägt

Heute, fast 6 Monate nach der Sepsis, hat mich der Alltag zurück, aber ich merke, dass mich die Sepsis geprägt hat.

Ich heiße Kerstin, bin 36 Jahre alt und hatte Ende November 2023 einen septischen Schock in Shanghai/China. Seit 2,5 Jahren lebe ich hier mit meiner FamilieEnde November war hier Grippe- oder Coronazeit – gefühlt waren alle krank. Am Freitag hatte ich mich schlapp gefühlt und gedacht, dass es mich nun auch „erwischt“ hatte. Am Samstag hatte ich leichtes Fieber mit Schüttelfrost und einen leichten Schmerz im rechten Oberschenkel. Komisch dachte ich, aber mehr auch nicht. Ich hatte morgens eine Freundin gefragt, ob sie unseren Sohn zum Fußball mitnehmen kann, weil ich mich schon lange nicht mehr so krank gefühlt hatte.

Lesen Sie hier Kerstins ganze Geschichte.

Am Sonntag ging es mir schlechter. Ich hatte Durchfall, fühlte mich schlapp und
mein rechter Oberschenkel tat nun so sehr weh, dass ich kaum noch laufen konnte.

Am Sonntag ging es mir schlechter. Ich hatte Durchfall, fühlte mich schlapp und
mein rechter Oberschenkel tat nun so sehr weh, dass ich kaum noch laufen konnte. Da ich aber sonst nichts an dem Bein gesehen habe, wollte ich erstmal abwarten. Ich hatte keine Erklärung für die Schmerzen. Aber am Montagmorgen ging es dann nicht mehr. Ich bin mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren, völlig schlapp. Mit dem Taxi deshalb, weil es kaum Krankenwägen gibt und man mit dem Taxi sicher im richtigen Krankenhaus ankommt. Im Krankenhaus gibt es zwei Seiten – links für „Outpatient“ und rechts für „impatient/emergency“). Ich hatte mir einen Termin
im Outpatient gemacht „so schlimm ist es ja nicht“. Die Krankenschwester hat mir sofort den Blutdruck gemessen (80/40) und die Alarmkette ausgelöst. Das war der Zeitpunkt an dem ich Peggy, eine Ärztin kennengerlernt hatte, die mir das Leben gerettet hat.

Ich wurde direkt in die Notaufnahme gebracht und es standen innerhalb weniger Minuten lauter Ärzte um mich herum. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle (außer mir) verstanden, was los ist. Je mehr die Ärzte auf meinem Oberschenkel drückten, desto schlimmer wurden die Schmerzen, aber auch die Farbe änderte sich. Der Oberschenkel wurde komplett rot. Es folgten Medikamente, Ultraschall, CT und Blutuntersuchungen, aber richtig wahrgenommen habe ich es kaum. Gegen Mittag war ich auf der Intensivstation angekommen und dachte immer noch „so schlimm kann es doch nicht sein“. Bis mein Mann kam und ihm gesagt wurde, dass wir beide uns auf das Schlimmste vorbereiten sollen. Ab dann hatte auch ich es verstanden und bekam Angst.

Ich bekam zusätzlich Sauerstoff, da die Infektion sich bereits auf die Nieren und Lunge ausgebreitet hatte, aber ich musste nicht intubiert werden. Nach 3 Tagen ging es mir schon wieder besser und die Ärzte haben mir gesagt, dass es zwar noch dauern wird, ich aber überleben werde. Was für eine Erleichterung.
Da mein Fieber und die Infektion in meinem Bein aber immer wieder aufflammten, musste ich 7 Tage auf der Intensivstation bleiben, anschließend noch 9 Tage auf der Normalstation. Ich hatte riesiges Glück, dass die Krankenschwester und Ärzte so schnell und hervorragend reagiert hatten. Wir haben auch die Ursache für die Sepsis gefunden – ein kleiner Stich mit einer Nadel.

Warum mein Körper so überreagiert hat, ist leider bis heute unklar. Noch nie war ich so lange von meiner Familie getrennt, aber wir haben es gemeinsam geschafft. Die Zeit nach dem Krankenhaus habe ich damit verbracht, wieder ganz fit zu werden. Im Februar kam die Infektion im Oberschenkel leider wieder, so dass ich nochmals Antibiotika nehmen musste, aber zum Glück konnten wir sie schnell wieder in den Griff kriegen. Nur leider sind im Anschluss meine Haare fast vollständig ausgefallen – laut Ärzte eine Reaktion auf die Gesamtsituation. Dies zu akzeptieren, war sehr schwierig, da nun meine Krankheit für alle sichtbar wurde und ich sie nicht mehr ignorieren konnte. Nach den ersten Tagen hatte ich meine innere Stärke zurück und stürzte mich wieder in meine Arbeit und meine Familie. Nach fast 4 Wochen sind meine Haare zum Glück wieder gewachsen und ich habe eine großartige, neue Frisur.

Heute, fast 6 Monate nach der Sepsis, hat mich der Alltag zurück, aber ich merke, dass mich die Sepsis geprägt hat. Richtige Nachwirkungen habe ich kaum, manchmal ist mir schwindelig und ich bin noch nicht wieder so sportlich fit wie davor, aber das sind alles Kleinigkeiten. Das Gefühl, mich von meinen Kindern und meinem Mann zu verabschieden, ohne zu wissen, ob ich alle wiedersehen werde, werde ich nie vergessen. Deshalb habe ich beschlossen, meine Geschichte öffentlich zu machen, damit andere hoffentlich früher zum Arzt gehen. Ich betreibe viel Aufklärung in meinem Bekanntenkreis und stelle fest, dass viele (auch ich damals) nicht die Symptome einer Sepsis kennen, dabei wäre es so wichtig.