Mariahs Weg in ihr neues Leben

Gott sei dank hatte ich damals nicht die geringste Ahnung von dem, was mir bevorstand. Und so wurden aus Wochen Monate und dann Jahre.

Sommer 2018 – Es war unfassbar heiß und meine letzte Erinnerung ist, dass mein Handy aus der Hand fällt und ich den Notknopf an meinem Krankenbett drücke.Noch heute frage ich mich, wie es soweit kommen konnte.

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Ich hatte bereits in jungen Jahren einen Tumor in der Brust und schon länger gesundheitliche Probleme, als ich mich im Herbst 2017, erneut einer Behandlung und Operation unterziehen musste. Meine Ärzte waren kompetent und ich fühlte mich auch mental gewappnet. Immerhin stand ich mit beiden Beinen fest im Leben. Daher war ich fest entschlossen, sobald wie möglich zurück in meinen Alltag, und damit zurück auf die Bühne zu kehren. Ich war kaum wieder zuhause, als ich mit Blaulicht und Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Als ich auf der Intensivstation erwachte, erklärte man mir, dass es Komplikationen gab.

Meine Wunden heilten nicht und hatten zu einer Infektion geführt. Und diese wiederum zu einer Sepsis. Die Diagnose Sepsis wurde dann im weiteren Verlauf immer wieder gestellt. Gottseidank hatte ich damals nicht die geringste Ahnung von dem was mir bevor stand und so wurden aus Wochen Monate und dann Jahre. Aus den Narben auf meiner Brust, wurden Stück für Stück immer größere und tiefere, dauerhaft infizierte Krater. Diese tiefen, nach Verwesung stinkenden chronischen Wunden mussten engmaschig in der Wundklinik behandelt werden. Trotzdem wurde ich immer wieder septisch. Inzwischen wusste ich dass jede Infektion zu einer Sepsis führen und diese auch mehrfach zuschlagen kann. Doch zu Beginn war ich naiv. Denn obwohl ich mich dauerhaft im Überlebensmodus befand erkannte ich nicht, dass ich die Gefahr trotz allem noch immer unterschätzte. Lange dachte ich, ich hätte es einfach verdrängt – rückblickend weiß ich heute, dass dies der Beginn einer medizinisch bedingten, komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung war. Der menschliche Verstand ist erstaunlich gut darin sich einzureden, dass alles nicht so schlimm und bald wieder gut ist.

Mein Leben wurde zu einem Kreislauf aus, Sepis, Operation(en) und Antibiotika, neuer Infektion und wieder Sepsis. Dass ich trotz allem noch am Leben bin, ist nicht nur für mich sondern auch für meine Lieben sowie für meine behandelnden Ärzte und Ärztinnen ein Wunder. Statt bühnenfit war ich nun todkrank. Und nachdem mein Körper durch die vielen Komplikationen, Operationen und vorangegangene Sepsis Episoden bereits enorm abgebaut hatte, kam es im Sommer 2018 schließlich zum Eingangs beschriebenen Supergau. Das Limit war überschritten. Endgültig. Schicksal oder Schutzengel, ich hatte Glück im Unglück. Eine einzige Abweichung im Ablauf und ich hätte nie davon berichten können. An diesem heißen Sommertag stand ein weiterer „geplanter“ Eingriff an meinem Brustkorb an. Ich war bereits am Vortag in der Klinik und wurde morgens um kurz nach 6:00 Uhr, von der Schwester mit dem OP Hemdchen versorgt. Es sollte in Kürze losgehen. Daher wollte ich noch eine letzte SMS an meine Familie senden, aber dazu kam es nicht mehr. Natürlich ging es mir nicht gut, deshalb war ich ja in der Klinik und sollte erneut operiert werden. Aber von einem Moment auf den anderen wusste ich, etwas ist absolut nicht ok.

Trotz meiner vorangegangenen Erfahrungen mit Sepsis, war dies ein völlig anderer Level an sich „todkrank“ fühlen. Ich war überzeugt zu sterben. In Todesangst drückte ich den Notknopf. Dann nichts mehr. Gerade liegst Du noch in Deinem Zimmer, während sich die Welt fröhlich weiter dreht und zack sind Ewigkeiten vergangen und Du erwachst an einem anderen Ort, als ein völlig anderer Mensch. Ich hatte einen septischen Schock erlitten und lag im Koma. Ich kann es noch immer nicht fassen, wie schnell ich einfach weg war. Seit dem ist mir bewusst das es eben nicht immer möglich ist, rechtzeitig zu erkennen das man Hilfe braucht und dann auch noch in der Lage ist, nach dieser zu rufen. Vor allem ist mir heute bewusst, dass Sepsis überleben nicht bedeutet verschont worden zu sein. Während heute den meisten „Long COVID“ ein Begriff ist, wird über die Spätfolgen von Sepsis kaum informiert. Die Sepsis ist weg und man soll wieder funktionieren. Selbst wenn es, wie in meinem Fall selten ist, dass eine Sepsis von der nächsten abgelöst wird, ändert es nichts an der traurigen Tatsache, dass auch eine einmalige Sepsis, viel zu viele Menschen mit Spätfolgen zurücklässt. Spätfolgen, welche nicht selten zu Erwerbsminderungsrente und/oder Pflegegrad führen.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich durch die vorige Entwicklung schon lange mit chronischen Schmerzen zu kämpfen. Der septische Schock und das Koma, fügten dem ganzen noch extreme Nervenschmerzen und eine ungeahnte Erschöpfung hinzu. Da die Defekte „aka. Krater“ in meinem Brustkorb riesig waren, erfolgten 2019 und 2020 Transplantation. Auf Grund der Grösse der Defekte, wurden beide Lattisimus Dorsi, beinahe komplett transplantiert. Dies bedeutet das grosse Teile meiner Rückenmuskulatur nach vorne umgebaut wurden. Jetzt ist hinten ,vorne und meine Nerven und Muskeln dauerhaft verdreht und eingeklemmt. Was zu zusätzlichen Schmerzen führt. Trotz dieser Bemühungen will eine Stelle im Brustkorb nach wie vor nicht heilen und blieb mir bislang weiter als chronische Wunde erhalten. Nach einer weiteren Sepsis im Sommer 2022 steht nun für 2023, ein neuer und wohl auch letzter Versuch an, die Wunde durch weitere Eingriffe endgültig zu verschließen. Solange dies nicht geschehen ist, lebe ich in ständiger Angst, vor der nächsten Sepsis. Und ich bin mir nicht sicher, ob mir diese Angst, nicht auch nach einem erfolgreichen Defektverschluss, erhalten bleibt. Ich will mir auch gar nicht vorstellen, was passiert wenn der Defekt nicht verschlossen werden kann. Mein Leben habe ich großartigen, engagierten ÄrztINNEN und medizinischen Fachkräften zu verdanken. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle, meine Wundmanagerin und das Team der Wundklinik, ohne deren gründliche und dennoch liebevolle Versorgung, ich es nicht bis hierher geschafft hätte. Dennoch gibt es auch Erfahrungen die mich heute um so genauer nachfragen lassen. Mindestens zweimal, wurde ich in der Notaufnahme, trotz meiner Vorgeschichte nicht näher untersucht und „MIT SEPSIS“ entlassen um nur Stunden später mit Notarzt zurück und intensivpflichtig im Krankenhaus zu sein. Beide male wusste ich, dass ich wieder septisch war, hatte mich aber gegen meine eigene Wahrnehmung und Erfahrung, abwimmeln lassen.

Ich bin überzeugt und setze mich dafür ein, dass Sepsis, ebenso thematisiert wird, wie Schlaganfall und Herzinfarkt. Sepsis gehört zu den Krankheiten mit den meisten Todesfällen und dennoch hält sich nach wie vor Halbwissen, wie vom legendären „roten Strich“. Es braucht mehr Aufklärung und Dringlichkeit. Dabei zählt jede Minute, denn: Jede Infektion kann eine Sepsis zur Folge haben. Jede Sepsis kann einen septischen Schock auslösen. Sepsis ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der sofort und in einem Krankenhaus behandelt werden muss. Trotz meiner Grunderkrankung bin ich überzeugt, dass mehrfache Sepsis, septischer Schock und Koma massgeblich dazu beigetragen haben, dass ich heute mit nur 46 Jahren, dauerhaft auf Rollator und Elektrischen Rollstuhl sowie auf den Pflegedienst angewiesen bin.

Da sich mein Zustand weiter verschlechtert hat, wurde mir dringend empfohlen meinen Pflegegrad von 3 auf 4 hoch stufen zu lassen. Dies, und die Tatsache das ich Erwerbsminderungsrente beziehen muss, setzt mir auch psychisch massiv zu. Trotzdem schaffe ich es bis heute, mich jeden Tag dafür zu entscheiden nicht aufzugeben. Denn ich habe überlebt. Ich habe es so weit geschafft und daher bin ich es mir selbst, aber auch jenen die es nicht geschafft haben schuldig, das Beste aus meinem jetzigen Leben zu machen. Mich für die Aufklärung zum Thema Sepsis sowie chronischer Erkrankungen, Behinderungen und Entstellungen einzusetzen, ist mein Weg dem ganzen einen Sinn zu geben. Und damit der Weg in mein neues Leben.